Mit Sicherheit erinnern Sie sich auch an die Affäre des amerikanischen Präsidenten Bill Clinton, mit Sicherheit auch an den Namen der jungen Studentin, die darin verwickelt war: Monica Lewinsky. Wer hat nicht gelacht über Peinlichkeiten, die ans Licht gebracht wurden, Witze erzählt über die junge Frau und den mächtigsten Mann der Welt? Vielleicht sogar Schadenfreude über die Entblößung des „verwerflichen“ Intimlebens zweier Menschen empfunden. Und dabei vielleicht vergessen, dass es Menschen sind, die hier betroffen sind, Menschen, die Gefühle hatten und haben und sich in keinem dieser Momente mehr wehren können, vollkommen wehrlos sind und voller Scham – bis hin zur Demütigung all dem ausgeliefert sind.

Einer der beeindruckendsten Vorträge ist für mich der Ted Talk von Monica Lewinsky, den ich vor einiger Zeit gesehen hatte. Nach Jahren der sozialen Ächtung erzählt sie hier, wie sie die Kraft gefunden hat, wieder ein „normales Leben“ führen zu wollen. In London studierte sie Psychologie, seit einigen Jahren setzt sie sich massiv ein gegen Cyber Mobbing: gegen Online Beschämungen, die mit dem Internet weltweit Menschen diskreditieren.

Sie sagt hier: „Es vergeht kein Tag, ohne dass ich an meinen Fehler erinnert werde, und ich bedaure diesen Fehler zutiefst. Nachdem mein Herz 1988 in einer unwahrscheinlichen Romanze im Sturm erobert wurde, stand ich plötzlich im Zentrum eines politischen, gesetzlichen und medialen Sturms, den wir davor nie erlebt hatten. Noch ein paar Jahre zuvor kamen Nachrichten aus nur drei Quellen: aus Zeitungen und Zeitschriften, dem Radio oder dem Fernsehen. Das war’s. Aber das war nicht mein Schicksal. Stattdessen wurde dieser Skandal von der digitalen Revolution präsentiert. Dadurch wurden uns alle Informationen zu jeder Zeit und überall zugänglich, wann immer wir es wollten. Als man Januar 1998 das erste Mal davon berichtete, geschah das online. Zum ersten Mal überflügelte das Internet die traditionellen Medien bei einem großen Thema in den Nachrichten; ein Mausklick, dessen Nachhall sich um die Welt erstreckte.
Für mich persönlich hieß das, dass ich von heute auf morgen keine Privatperson mehr war, sondern eine weltweit öffentlich Gedemütigte. Ich war Patient Null; die erste Person, die ihren persönlichen Ruf weltweit augenblicklich verlor.“

Scham ist ein mächtiges Gefühl, ein Gefühl sozialer Angst, das wir tunlichst zu vermeiden versuchen, um uns nicht entblößt zu fühlen, um nicht aus der Gruppe ausgestoßen zu sein. Nicht umsonst sagen wir: sich in Grund und Boden schämen, wir wollen in den Erdboden versinken und lieber verschwinden, als uns dem Moment – dem Blick der Anderen – stellen.

Scham hat die Kraft, unser gesamtes Handeln zu steuern: Handlungen, Empfindungen, Wünsche und Bedürfnisse zu lenken, um Scham zu vermeiden. „Zu sagen, dass man sich schämt, ist selbst mit Scham belegt„, sagt Klaus-Thomas Kronmüller, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Ärztlicher Leiter des Klinikums Gütersloh in der ZEIT. Nicht umsonst wird das Gefühl von Scham tabuisiert, stärker noch als beim Gefühl der Kränkung, dem wir mithilfe von Aggression und Beleidigt-Sein kontern können.

Heute erst las ich, dass Monica Lewinsky nun in einer Dokumentation über die damalige Affäre spricht; auch 20 Jahre später kommen ihr noch die Tränen beim Erzählen. Wie mutig, sich dem zu stellen – öffentlich, um die öffentlich begangene Schuld an ihr abzuweisen. Und wie kraftvoll und tapfer, dass sie ihre Erfahrung als Mobbing-Opfer nutzt, um auf Gefahren, Risiken aufmerksam zu machen und um Opfern zu helfen. Ich bewundere, die persönliche Stärke, die sie entwickelt hat und die Kraft, die sie findet, um in die Öffentlichkeit zu treten. Dass sie das Erlittenen zu ihrer Aufgabe macht hilft – ohne Zweifel – anderen Menschen, aber auch, Wunden zu heilen. Dafür zolle ich ihr höchsten Respekt.

Hier noch ein guter Beitrag: Monica Lewinsky bricht Interview ab. Recht hat sie.