Meine Freundin kam zurück vom Besuch bei einem schwer erkrankten Verwandten und erzählte mir, daß er – obwohl bereits seit mehr als einem halben Jahr nicht mehr in der Lage, seine Beine zu belasten – unter der Wirkung der Medikamente die Vorstellung hatte, aufzustehen und spazieren zu gehen. Und daß er dabei enorme Kräfte entwickelt habe, um sich in die Senkrechte zu bringen, bevor das Pflegepersonal ihn zurück in die Wirklichkeit geführt hätte, nämlich in die Horizontale in seinem Bett.
Noch beeindruckt von dem Erlebnis meinte sie, daß er in dem Augenblick, als er voll in dieser Idee war, lebendiger mit ihr sprach und sie anblickte, daß seine Kraft größer schien, als es inzwischen der Fall war; und daß die Idee ihn geradezu beflügelte, ihn zuversichtlich und hoffnungsfroh aussehen ließ – leider wohl die Folge von Beruhigungs- und Schmerzmitteln. Der Augenblick, als seine Wahnvorstellung an der Wirklichkeit zerplatzte, war ernüchternd und schmerzhaft. Ihre Schilderung klingt noch in mir nach: wie mächtig die Verschränkung zwischen Gedanken, Taten und Gefühlen doch ist. Und ich denke an den Ausdruck „von einer Idee beseelt sein“ und „von einer Idee besessen sein“.
Ob medizinisch, psychologisch oder wirtschaftlich betrachtet: einer Idee zu folgen gibt Kraft und Richtung, einer Vision zu folgen gibt Sinn. Ohne Idee kein Ziel und keine Vision – und ohne Vision keine zukunftsweisende Kraft – und damit auch keine zielgerichtete, Wirklichkeit gestaltende Tat.
Das Beseelt-Sein und das wahnhaft-Besessene trennen Welten, nämlich die Wirklichkeit. Aber einiges haben sie gemeinsam: sie geben Kraft, Richtung und Sinn.
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