Gehend, radelnd und fahrend durch Korsika bewundere ich immer wieder Größe, Schönheit und Kraft, die viele Bäume ausstrahlen – beeindruckend! Natürlich gibt es auch umgestürzte, entwurzelte, abgestorbene, verbrannte Bäume: Schwarzkiefern, Kastanien, Feigenbäume, Eukalyptusbäume, Stein- und Korkeichen, Eiben, Buchen, Tannen und dazwischen lauter kleine nachwachsende junge Bäumchen aller Arten. Und an den steinigsten und kargsten Stellen, den steilsten und abgelegensten Hängen. Da steht der Baum!

Mir geht schließlich der ja eigentlich selbstverständliche Gedanke durch den Kopf, dass der Baum seinem Standort auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist: da, wo der Samen einst hingefallen ist und seine kleinen, feinen Wurzeln ausgetrieben und in die Erde gesenkt hat, da muss nun der Baum bleiben, ein kurzes Leben oder mehrere hundert Jahre. Da muss er sich fortan damit arrangieren, unabhängig davon, welche Nachbarschaft, welche Ressourcen und Verhältnisse er nun vorfindet: Licht- und Wasserverhältnisse, Wind und Regen, Steinschlag und Felsen, dem Ausgesetztheit gegenüber Hitze und Kälte.
Um zu überleben stemmt der Baum seine Wurzeln noch kräftiger ins Erdreich und zieht daraus all seine Lebenskraft – bis zu seinem frühen Tod oder für sein langes Leben. Tief verwurzelt ist er fortan allem ausgesetzt. Entwurzelung bedeutet sein Ende, Veränderung gibt es für ihn nicht, nur Anpassung.

Wir aber, wir können gehen, wir können die Veränderung aktiv gestalten und viele der Umstände, unter denen wir leben beeinflussen. Der Preis ist eventuell eine Entwurzelung, nicht immer. Wurzeln schlagen wir nicht überall, wo wir sind und leben. Vielmehr entwickeln wir unsere Wurzeln auf verschiedenen Ebenen : familiär, sozial, geografisch, geistig, kulturell.
Veränderungen bedeuten für uns nicht gleich Entwurzelung. Durch Veränderungen entwickeln wir unsere Lebensumstände weiter, so dass wir wachsen und aufblühen; Still-Stand lässt unser Potenzial verkümmern.

Trotzdem verharren viele Menschen lieber in einem unfreundlichen und begrenzenden Umfeld, statt zu gehen. Andere Menschen verlassen alle ihre Ressourcen und versuchen, ihre existenzielle Situation zu verbessern. Angst verbindet beide.

Eine Studie hat mich in jungen Jahren sehr beeindruckt, an die ich jetzt denken muss. Damals dachte ich noch, dass Menschen, die tief verwurzelt seien, Heimat haben, ein festes Umfeld genießen, stabil aufgewachsen sind, einen festen inneren Kern entwickeln, wodurch sie sich auf Veränderungen und Fremdes mit Offenheit und Vertrauen einlassen können. Doch das Gegenteil ist der Fall: Menschen, die früh gelernt haben mit Irritationen, mit Unerwartetem umzugehen, erleben Veränderung als weniger verunsichernd, sie scheuen diese weniger. Menschen, die wenig Irritation erlebt haben, suchen eher Beständigkeit, sind schnell verunsichert. Kommt dann ein Sturm, so haut es sie um – oder sie lernen die Veränderung.
Ja, wir alle müssen lernen, mit Veränderungen umzugehen, aber Veränderung ist für uns möglich.