Die einen suchen sie, die anderen meiden sie – Verantwortung. Den einen gibt es die Möglichkeit, zu gestalten, sich einzubringen, Sinn zu erleben und etwas zurückzubekommen, Raum zu haben, um zu wachsen und die eigenen Fähigkeiten, ja, sich einzubringen; den anderen ist sie eine Bürde, die mehr oder weniger schwer auf ihren Schultern wiegt, Verpflichtung, die bindet, eine Grenze, die schützt oder einschränkt, Verantwortung, die getragen werden will, aber zu eng oder zu heiß ist, die etwas verlangt.

Diese Woche habe ich beide Einstellungen in großer Ausprägung in meinem Büro erlebt. In der Beratung eine engagierte Führungskraft, die mit Freude von ihren Aufgaben spricht, ihrem Einsatz für das Unternehmen und ihrer Motivation, ihr Team mitzunehmen, es durch die anstehenden Veränderungen zu führen und tatkräftig und voller Ideen den erfolgreichen Online-Shop in die nächste Generation zu bringen.

Kurz danach treffe ich die Frau, die der Vermieter seit vielen Jahren für das Putzen der Büros beauftragt hat. Ich frage sie, ob sie vielleicht bei Gelegenheit die Griffe der Türen sauber machen könnte. Sofort antwortet sie mir: „Das ist nicht meine Aufgabe.“ Nein, es ist ihr sogar ein Anliegen, es mehrmals zu sagen: „Nein, das mache ich nicht, das gehört nicht zu meinen Aufgaben. Meine Aufgaben sind Boden, Bad und Küche. Die Türen gehören nicht zu meinen Aufgaben.“ Jaja, ich habe es schnell verstanden. Natürlich wusste ich das, aber ihre Aufgaben haben sukzessive abgenommen, nachdem seit einiger Zeit weniger Leute in unseren Büroräumen ein und aus gehen, somit weit weniger zu putzen ist. Ich weiß auch, dass sich ihre Einnahmen nicht verändert haben und dachte – offenbar sehr naiv – sie könnte sich „ihren“ Räumen (oder uns darin Arbeitenden?) gegenüber verantwortlich fühlen. Sie erlebt es offenbar anders, sie fühlt sich ihrer Aufgabe gegenüber verantwortlich, aber nicht dem Gesamten.

Der Satz aber, so oft und mit großem Nachdruck gesagt, hat mich dann doch beeindruckt. Und meine Gedanken habe ich einfach mal so laufen lassen: Ich kann mir in meiner Fantasie wirklich vorstellen, dass sich eine Putzkraft – seit vielen Jahren dem Vermieter und den Räumen verbunden – für deren Sauberkeit verantwortlich fühlen könnte. Und dass damit auch ein gewisser Stolz auf die Qualität der eigenen Arbeit und seiner Ergebnisse verbunden sein könnte. Ganz nach dem Motto: wenn es hier blitzt und blinkt, dann weil ICH es gemacht habe.

Klar kann man natürlich sagen, dass das Putzen von Büroräumen keinen Gestaltungs- und Identifikationsraum hergibt, um darauf stolz zu sein. Vielleicht aber doch einfach mal vorstellbar. Es geht mir nämlich hier um die Haltung, die ich meinte, zu erkennen. Die jeweilige Herangehensweise beider Personen – gerade so dicht hintereinander erlebt – hat mich zu dem Gedanken geführt: Macht die Frau ihre Arbeit nicht auch ein Stück für sich selbst? Verwehrt sie sich nicht in Wahrheit mit der Absage an eine wachsende Aufgabe auch einem eigenen Wachsen? Vergibt sie nicht auch sich selbst die Möglichkeit, einen anderen Horizont zu erleben, Neues zu tun, sich tatkräftig, engagiert und aktiv zu erleben? Hätte sie nicht gerade durch das Erfüllen von Aufgaben, die über ihre Aufgaben hinaus gehen, Anerkennung – und wahrscheinlich sogar in unserem Fall – Dankbarkeit bekommen? Vielleicht sogar auch mehr Geld, wenn sie gut verhandelt hätte. 😉

Einen kurzen Augenblick stelle ich mir vor, die beiden Frauen wären vertauscht gewesen und die Putzkraft hätte aus der Herangehensweise der Führungskraft heraus geantwortet. Wie hätte sie reagiert? Was hätte sie gesagt?