Stabilität gehört mit Sicherheit zu den Worten, die ich in der vergangenen Woche am meisten gehört habe. Stabilität, um am Bestehenden festzuhalten, Stabilität, die Veränderung aufhält. Aber auch andere Beiträge, die ich in den vergangenen Wochen gelesen und gehört habe, haben mich nachdenklich gemacht, Beiträge, in denen Veränderung nicht Teil der Story ist.

Als es um das Thema Sinnlosigkeit am Arbeitsplatz ging, und wie sie krank macht, hatte ich in der Zeitung folgenden Bericht gelesen:
„Irgendwann an einem dieser langen Arbeitstage im Betrieb stand Martin Siekmann {Name von der Redaktion geändert} vor seinen Kollegen und konnte nicht mehr mit ihnen sprechen. Die Worte waren da, aber sie kamen nicht raus. Dem Techniker wurde schwarz vor Augen, seine Kollegen riefen einen Arzt. Wenig später fand sich Martin Siekmann mit der Diagnose Burn-out in einer Psychiatrie wieder. Sechs Wochen verbrachte er dort, sollte Abstand gewinnen. Doch als er wieder an seinen Arbeitsplatz zurückkehrte, lief bald alles wieder wie vor seinem Zusammenbruch.

Siekmanns Job war es, die technischen Abläufe im Betrieb zu optimieren. Immer wieder arbeitete er zwölf Stunden und mehr. Anerkennung für seinen Einsatz habe er aber nicht bekommen, sagt er. Stattdessen kämpfte er mit den ständig wechselnden Vorgaben seiner Chefs. „Die Geschäftsleitung hat ihre Vorstellungen immer wieder, teilweise mehrmals täglich geändert“, erinnert sich Siekmann. Es folgten zwei weitere Burn-outs, ein Herzinfarkt und mehrere Bandscheibenvorfälle, bis der heute 62-Jährige schließlich sagte: Ich kann nicht mehr arbeiten. …“ (Die Zeit, 04.09.2018, Arbeit ohne Sinn macht krank – Fehlzeiten-Report, von Stefan Boes)

Ich frage mich: was hat dazu geführt, dass Martin Siekmann weiterhin an seinem „zerstörerischen“ Arbeitsplatz geblieben ist? Wie kam es, dass er das jahrelange Leiden, die große Verzweiflung ertragen hat, seine Gesundheit, seine gesamte Lebenskraft und Lebensfreude über so einen langen Zeitraum verloren hat – und verharrte! Immer wieder zurück an seinen Arbeitsplatz ging. Was war, dass es keine Alternative zu geben schien, warum hat es Martin Siekmann vorgezogen zu bleiben, statt nach einer Alternative zu suchen?

Am Freitag hörte ich in BR2, Radiowelt ein Interview zu Mobbing und der Arbeit der Mobbingberatung. Ohne Zweifel ist Mobbing schlimm, eine Unart ohnegleichen und es ist extrem wichtig, dass betroffene Personen beraten werden und erfahren, wie sie sich dagegen wehren können, lernen, wie sie die Situation durchbrechen. Aber auch hier führte mich der Beitrag direkt zur Frage, warum Betroffene manchmal jahrelang verharren, sich manchmal jahrelang der Situation aussetzen, Ungerechtigkeit ertragen, Einsamkeit erleiden und ihrer eigenen Psyche und körperlichen Gesundheit extremen Schaden zufügen (neben Depression, Burnout, psychosomatischen Krankheiten verändern sich durch das lange Leiden sogar die Funktionen und Reaktionen des Gehirns).

Leicht könnte ich noch mehr Beiträge nennen, die von ähnlich krank machenden Situationen und schlimmen Schicksalen erzählen. Dass es diese gibt ist furchtbar, immer wieder erschreckend.* Aber was mich dabei immer wieder mit Verwunderung erfüllt, ist wie selten in diesen Beiträgen ein Satz gesagt, geschrieben wird: „Verlassen Sie Ihre krank machende Umgebung, es gibt Alternativen; verharren ist zerstörerisch, Veränderung möglich!“

Unser gesamtes Leben, alles um uns herum ist geprägt von Veränderung und Entwicklung, von Wechsel und Fortschreiten – Stabilität gibt es nicht: nicht in der Natur, nicht in der Wirtschaft, in keiner Beziehung und keinem Leben. Alles ist in Bewegung, alles ist in einem permanenten Veränderungs- und Entwicklungs-Prozess. Leben ist Veränderung, Veränderung aber ist immer unberechenbar und instabil. Kontrollierbarkeit, Berechenbarkeit und Stabilität gibt es nur im Tod, ein System (Unternehmen, Organismus, …), das sich nicht verändert, sich nicht weiter entwickelt geht früher oder später zugrunde – weil es sich den außen stehenden Entwicklungen versperrt hat, nicht ‚mitgegangen‘ ist.

Offenbar gibt es eine große Sehnsucht nach Stabilität, nach Ruhe, Berechenbarkeit und Stillstand: Sicherheit. Und flankiert von dieser Sehnsucht werden viele Begriffe und Gefühle durcheinander geworfen und verwechselt: Stabilität ist nicht Sicherheit. Veränderung ist nicht unsicher!

Wer hat uns eigentlich gesagt, dass Verharren wichtig ist, dass Veränderung Angst machen muss, dass das Neue schlecht ist und nur im Bekannten Sicherheit zu finden ist?
Wer unterschlägt es, uns zu zeigen, dass Veränderung zum Leben gehört, dass nur Wechsel und Neues Entwicklung und Fortschritt ermöglichen, dass Stillstand sogar zerstörerisch sein kann? Und dass Veränderung Chancen birgt, Raum gibt für Gestaltung, für Verwirklichung. Ja, Chancen eröffnet auf ein selbstverantwortliches Leben.

Veränderung erfordert „In-die-Verantwortung-Gehen“, Veränderung öffnet die Zukunft, Veränderung erfordert Mut – das ist sicher.

 

*In meine Beratung kommen ab und zu Menschen mit ähnlichen Schicksalen, aber in dieser Form ja dann doch nicht, denn diese Menschen haben den Sprung hin zur Veränderung gewagt: sie kommen, weil sie etwas verändern möchten – damit ihr Leben anders wird, der erste Schritt ist dann getan.