Geht es Ihnen auch so? Nach nun mehreren Wochen des Ausnahmezustandes beginnt man schon, sich daran zu gewöhnen: ein neuer Tagesablauf, neue Arbeitsprozesse, neue Kommunikationsformen. {Das neue Miteinander bleibt zum Glück noch gewöhnungsbedürftig.} Es wird irgendwie fast schon normal, morgens nicht aus dem Haus zu gehen, sich mit Kolleginnen und Kollegen, Freund*innen und den Eltern per Videokonferenz oder am Telefon auszutauschen, das Auto stehen zu lassen, den Umkreis verringert zu haben. Es wird irgendwie normal. Und zum Glück! Würden wir ja ansonsten ständig anecken, Prozesse neu ausprobieren, uns ärgern … Zeit und Energie darauf verwenden, die Rahmenbedingungen zu definieren; zum Wesentlichen kämen wir so praktisch kaum oder nicht. Das, was bis vor Kurzem eine Reaktion auf die verrückten Corona-Zeiten war, wird irgendwie zur neuen Normalität. Wir gewöhnen uns nach und nach an das Neue und so wird aus dem ursprünglich Verrückten das Normale. Unser „neues Normal“.

Ist normal was verrückt ist oder doch verrückt, was normal ist?Was ist aber eigentlich schon normal? Ist etwas normal, weil wir uns daran gewöhnt haben? Oder ist es normal, weil es viele, die meisten, tun? Ist etwas nicht normal, weil ich es noch nie erlebt, noch nicht gesehen habe, und es mir auch gar nicht vorstellen kann? Und was ist dem gegenüber verrückt? Verrückt, vom Normalen ver-rückt… Neues, Unvorstellbares, Ungewohntes, Ungekanntes… Wenn wir also gar nicht genau wissen, was normal ist, wie können wir sagen, dass etwas ver-rückt ist?

Ist es verrückt oder ist es normal, dass nun ca. 25% der Arbeitnehmenden im Homeoffice arbeiten, dass flexible Arbeitszeiten sich als praktikabel erweisen, virtuelle Führung allerorten gelehrt. Dass Besprechungen nun über Länder und über Stadtteile ohne aufwändige und kostspielige Reise am Bildschirm stattfinden können, dass Universitäten ihre Kurse und Vorlesungen virtuell stattfinden lassen und die Digitalisierung in die Schulen einzieht? Dass viele Autos stehen bleiben, der Himmel Blau und keine Kondensstreifen zu sehen sind?

Und wenn irgendwann die Corona-Gefahren eingedämmt und nicht die Menschen eingeschränkt sind, wir also wieder zur „Normalität“ zurückkehren… wird es normal sein,  dass Sie täglich ins Büro fahren, im Stau stehen und (fast) zu spät zu Ihrem Termin kommen? Wird es normal sein, dass Sie mehrere Stunden in der Woche, ja ganze Tage im Monat, unterwegs sind? Die Luft sich wieder mit Abgasen füllt und die Sterne kaum mehr zu sehen sind? Ist das verrückt – oder ist das normal?

 

P.S. Ein Plädoyer, das uns ermahnt, das neue Normal nicht zu schnell zu verlassen, weil Verdrängen und Vergessen so menschlich ist, weil die Sehnsucht nach Normal so groß ist. Damit wieder ist, als wäre nichts passiert. Das wäre nicht das erste Mal, dass wir Menschen uns in Gefahr bringen, weil die Auseinandersetzung mit dem Neuen aufwändig und anstrengend ist.
Tun wir’s nicht! Bleiben wir aufmerksam, die Gefahren sind nicht gebannt. Ein bemerkenswerter Artikel von Ranga Yogeshwar in der F.A.Z. vom Samstag, 02.05.2020.

F.A.Z. vom 02.05.20 – Ranga Yogeshwar: Phase zwei.