„Mind the gap between the train and the platform.“, tönt die Stimme wieder und wieder aus dem Mikrofon. Ich bin in London unterwegs mit der U-Bahn, die typische Ansage begegnet mir auf Schritt und Tritt, an jeder Station, in jeder U-Bahn, ich lese sie auf dem Bahnsteig, sie leuchtet auf der Leuchttafel im Zug und ertönt aus dem Lautsprecher beim Ein-, beim Aussteigen: Mind the gap.
Zunächst finde ich dies ja ganz witzig, der Ausdruck ist ja auch eingängig; und wenn man sich im Internet umguckt, so gibt es auch allerhand dazu: Filmchen und Clips, Persiflagen, Geschichten, T-Shirts, Kampagnen, Songtitel… Aber bald musste ich mich doch wundern…
Mind the gap… was für eine Fixierung auf diesen Spalt zwischen Bahnsteigkante und Zug! Ich muss lachen. Im Coaching achten wir besonders auf die Ziel- und Lösungsorientierung, das heißt, gerade nicht auf den „Spalt“ zwischen Ziel (also Veränderung) und derzeitiger Situation; vielmehr suchen wir Möglichkeiten, Chancen, um den Schritt nach vorne zu tun.
Mind the gap… hier geht es in einem Zug um die potenzielle Gefahr, die Gefahr, die besteht, wenn ich unachtsam in den Zug ein- bzw. aussteigen würde; der Schritt will gut gesetzt sein. Aber ist das nicht irgendwie selbstverständlich, wenn ich von einem Ort zu einem anderen will? Wenn ich ins Auto einsteige? Den Fahrstuhl betrete? Mit der Rolltreppe hinauf steige oder hinunter fahre? Wenn ich die Haustüre öffne und auf die Straße gehe? … Gucken Sie nicht, wenn sie den nächsten Schritt machen ?
Mind the gap… irgendwie ist das hier ziemlich kontra-produktiv, permanent werde ich auf den Spalt hingewiesen, die Gefahr hängt mir an der Ferse. Im Coaching nennen wir das eine Trance, die ‚Problemtrance‘: Wenn wir so stark in unserer schwierigen Situation feststecken, dass wir quasi ausschließlich an unser Problem denken und nur noch darüber sprechen, wir denken „benebelt“ an unsere Schwierigkeiten, wir sehen und entdecken keine Lösung/en (mehr), stecken fest in unseren Gedankenkreisen, unseren Gefühlen und finden nicht mehr aus unserem Problem. Aufgabe des Coaches ist dabei zu unterstützen, diese Fokussierung auf das Problem zu beenden und eine Erweiterung des Blicks zu ermöglichen, damit andere Sichtweisen und Lösungsstrategien denkbar, und damit auch möglich werden.
Mind the gap… Der Zug fährt ein, ich werde einsteigen, um zu meinem Ziel zu gelangen. Ich mache einen Schritt in den Wagen, der mich zu meinem Ziel bringt. Auch jetzt denke ich an die Parallele zu meiner Arbeit: Immer wenn wir woandershin wollen, müssen wir einen Schritt machen. Einen Schritt, der eine persönliche Veränderung bedeutet, einen Schritt, der auch äußerlich zu größeren oder kleineren Veränderungen in meinem Leben führen wird. Ein Schritt, an den Hoffnung – und manche Unbekannte – gekoppelt ist. Einige Stationen fahre ich, entferne mich von meinem Ausgangspunkt, lasse diesen hinter mir, während der Zug durch den dunklen Tunnel rattert. Der Zug fährt in den Bahnhof ein, bremst.
„Mind the gap… this is Covent Garden, the next station is Leicester Square“, ruhig sagt die Stimme ihren Spruch auf, während der Zug zum Stehen kommt.
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„Mind the gap,“ höre ich es nochmal, während die Türen aufgehen und ich meinen Schritt über den dunklen Spalt, der in die gefährliche Tiefe führt, hinaus aus dem Wagen mache. Beherzt, mein Ziel vor Augen, gleich habe ich es geschafft. Fester Boden ist wieder unter meinen Füßen. Schnell folge ich nun der nächsten Anweisung, der Beschilderung: „way-out“. Hier geht’s zur Treppe, noch einige Stufen bis ich an’s Licht komme.
Am Ziel: alle „Gaps“ habe ich erfolgreich überwunden. Der Himmel leuchtet Hellblau über mir, der Verkehr brummt, die Menschen wimmeln um mich herum, Straßen in alle Richtungen. Nun liegt die nächste Etappe vor mir: die richtige Adresse finden. Dieses Mal aber ohne Warnung im Ohr. Ich gehe los, überquere die erste Fußgängerampel, gehe weiter zur nächsten Kreuzung, gucke rechts, um auf die andere Straßenseite zu gelangen, da vorne muss das Büro sein, in dem mein Termin stattfindet – oh, die Autos kommen ja von der anderen Seite!! So was… mind the traffic! Mind your steps…
* Die Audiodatei ist von GeoTrinity auf Wikipedia zu finden.
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