„Das sind doch alles Vollpfosten!“, hörte ich den Mann am Nebentisch des kleinen Biergartens zu seinen Freunden sagen. Sie sprachen über Politik – oder war es über seinen Job gewesen? Da erinnerte ich mich daran, wie ich wenige Tage zuvor beim Radeln eine Situation erlebt hatte, als ein Radler beim Abbiegen kein Armzeichen machte und von einer Mit-Radlerin entsprechend betitelt wurde: „Du Vollpfosten!“

Arrogant?

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Andere vorschnell und pauschal zu verurteilen, andere zu beurteilen führt fast zwangsläufig zu einer anmaßenden Haltung: ich stelle mich über die Person, über die Situation und fälle ein Urteil über ihn, über sie. Eine schwierige Sache. In Unternehmen führt die zwangsläufig notwendige Beurteilung der Mitarbeitenden durch die Führungskräfte naturgemäß zu Gefühlen der Unzufriedenheit bei den Angestellten, bei der Führungskraft sehr oft zur Vermeidung von Klarheiten oder aber umgekehrt zur Zuspitzung und Übertreibung der Kriterien, um mit der damit einhergehenden Distanz umzugehen: im ersten Fall, sich als Führungskraft nicht zu stark vom Team zu distanzieren, nicht angreifbar zu sein, im anderen, um die Distanz so groß zu machen, dass ich auch wiederum hoffentlich unangreifbar bin. Beides führt zum Gefühl der Ungerechtigkeit bei den Mitarbeitenden: weil keine Unterscheidung zwischen sehr guter und weniger guter Leistung stattfindet auf der einen Seite, auf der anderen, weil ein Gefühl mangelnder Wertschätzung übrig bleibt. Immer schwierig (und daher umso wichtiger, dass mit der Zielvorgabe eindeutige Kriterien der Beurteilung festgelegt worden waren). Nun gehört es  aber nun mal zur Aufgabe der Führung zu kontrollieren und zu beurteilen, das ist gut so und das    wissen alle Mitspielenden (hoffentlich!).

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Urteilen, Beurteilen, Verurteilen erzeugt aber immer Distanz, ob gewollt oder ungewollt, bewusst oder unbewusst – und ich spreche hier nicht von konstruktiver Kritik, die vielmehr Nähe erzeugt, wenn ich diese zulasse, sondern von der Distanz, die ein Gefälle zwischen Urteilendem und Beurteiltem bildet.

Distanz ist nicht ausschließlich negativ zu sehen, schließlich erlaubt sie es auch, Handlungsfreiheit zu haben. Mangelnde Distanz schränkt meinen Handlungs- und Gestaltungsraum ein, ich fühle mich – oder bin – dann jemandem oder einer Sache verpflichtet. Distanz wirkt leicht unnahbar; das soll sie auch, sofern sie zielgerichtet aufgebaut wird, sie entfernt mich von sozialen Kontakten, ich wirke dann kühl oder eben arrogant.

Bei der Arroganz baue ich neben der Distanz zusätzlich eine Position des Mich-drüber-Stellens auf: ich weiß – im Gegensatz zu euch – wie es geht! Ich bin halt (einfach) besser! Mir passiert so etwas nicht! Hätte ich diese Aufgabe übertragen bekommen, dann wäre das Projekt erfolgreich verlaufen! Ich bin hier der Chef (die Chefin), ich weiß immer, wo es lang geht, ihr könnt es einfach nicht! Etc. … Wahrscheinlich wissen Sie rasch, wie das Verhalten eines weiblichen oder männlichen „Arroganzlings“ aussieht.

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Besonders schwierig ist übrigens die Balance zwischen dem Wunsch nach Perfektion, Fehlerlosigkeit und der Vermeidung, distanziert zu wirken: will ich es doch am besten machen, richtig richtig! Als Ausgleich wird besondere Bescheidenheit geübt, was aber oftmals nicht überzeugt – und dann arrogant wirkt: „Das war doch nichts besonderes!“, oder: „Das hättest du bestimmt auch so hinbekommen.“, oder: „Aber mein Ergebnis war doch gar nicht so gut, hier in diesem kleinen Bereich habe ich doch auch einen Fehler.“ oder so ähnlich.
Hatte ich vorher Angst vor einem Fehler, vor meiner Unwissenheit, wie mit Kritik umzugehen und habe ich alles getan, um Scham zu vermeiden, habe dadurch alles gegeben, um besser zu sein, distanziere ich mich gleichzeitig von meinen Kolleginnen und Kollegen – die sind ja schließlich „normale Menschen“, denen so etwas schon mal passieren kann, mir hingegen nicht! Ein echter Balance-Akt, der leicht dazu führen kann, arrogant, also überheblich, zu wirken.

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Ein Balance-Akt ist es auch für die Führungskraft, die sich zwischen Nahbarkeit und Beurteilung, zwischen Distanz und Teamfähigkeit, zwischen Entscheidungsstärke und Kooperation, zwischen Verantwortung und Vertrauen, zwischen Offenheit und Überzeugungskraft geschickt hindurch navigieren muss. Gelingt ihr das nicht, wie schnell hat sie da den Ruf weg: Arrogant zu sein, nicht stark genug, unfähig zu sein – und eben vielleicht ein „Vollpfosten“?!

Ich würde es doch besser machen! Sicher?? Oder stelle ich mich selbst in diesem Augenblick über jemanden? Und laufe damit ganz sicher der Gefahr, mich über jemanden zu stellen – ungerecht und arrogant zu sein.

Aber vielleicht geht es oftmals stärker um den Ausdruck von Ärger. Ein Schnellschuss. Wie lassen wir eigentlich unsere Gefühle raus? Alles runterschlucken kann ja nicht gut sein, alles ausspucken auch nicht. Dazu beim nächsten Mal.