Angst ist ein starkes Gefühl. Angst ist unangenehm, manchmal auch überwältigend. Niemand möchte Angst haben, denn Angst verunsichert, schwächt, treibt uns, lässt uns unruhig schlafen, zeigt uns unsere Verwundbarkeit. Leider gehört Angst zum Leben.*
Und so soll es auch sein, denn die Angst half uns evolutionsgeschichtlich, Gefahrensituationen zu erkennen und entsprechend zu reagieren: fliehen. Einfrieren, still bleiben und sich nicht vom Fleck rühren. Oder: angreifen!
In meinem Büro erzählen mir viele Menschen von Momenten der Angst und der Furcht: vor Kündigung, keinen angemessenen Job zu finden, sich bei einer Präsentation, im Bewerbungsgespräch, im Assessment Center zu blamieren; Angst im komplett falschen Beruf zu sein, den Erwartungen nicht gerecht werden zu können, sich überfordert zu fühlen, nicht gut genug zu sein, vor dem Gespräch mit dem/der Chef/in, Mobbingsituationen ausgesetzt zu sein, nicht adäquat handeln zu können, … Es gibt so viele Ängste: die Angst vor Prüfungen, Krankheit und Tod, die Zukunft, das eigene Leben nicht mehr bewältigen zu können, die Kontrolle zu verlieren, auf andere angewiesen zu sein und ihnen zur Last zu fallen, sich in einem neuen Umfeld nicht zurecht zu finden, den Tod einer geliebten Person, dass den eigenen Kindern etwas geschieht, existentielle Nöte, zu wenig Aufträge, Altersarmut, sein Leben zu verwirken, zunehmender Rechtsextremismus und Fanatismus, die Bedrohung der Natur und der Verlust unserer Existenzgrundlage, vor dem Verlust des langjährigen vierbeinigen Begleiters, vor Einsamkeit und Verlorenheit, Schmerzen, die es nicht mehr ermöglichen, die eigenen geistigen Fähigkeiten einzusetzen… Sooo viele Ängste.
Wie gerne würden wir fliehen – mit der Angst und deren „Verursachern“ nichts zu tun haben!
Leider geht das viel zu oft gar nicht – und wäre auch nicht die beste Strategie. Die Angst hilft uns auch heute noch, denn sie macht uns darauf aufmerksam, wo es Handlungsbedarf gibt – wo wir gefordert sind und angreifen müssen.
Die moderne Form des Angriffs erfolgt nicht mit einer Waffe. Vielmehr: ich erkenne, dass ich in Schwierigkeiten gekommen bin und die Situation schlimmer wird, wenn ich so weiter mache, deswegen muss ich erst einmal einhalten und etwas verändern.
Es sind gerade unsere Ängste in all ihren Schattierungen, die unsere geistige und emotionale Entwicklung in Bewegung bringen. Dafür brauchen wir sogar die Angst als eine Art Irritation unseres Denkens und Handels, so dass wir gezwungen sind, aus dem bisherigen Trott auszusteigen.
Dabei können Situationen der Verunsicherung bereits der sinnvollste nächste Schritt sein, weil er uns zeigt, dass Handlungsbedarf besteht. Nicht die Augen zu und durch, sondern mit der Angst, durch die Angst als unliebsame „Hilfestellung“ auf dem Weg der Veränderung: Was habe ich bisher übersehen? Was brauche ich jetzt? So kann der nächste Schritt erst einmal ein Innehalten sein und das ist dann trotzdem das beste Dranbleiben. Einen Schritt zurück und das, was Angst macht wahrnehmen bis ich innerlich einen neuen Zugang dazu finde. Und so schließlich die Lösung – „notfalls“ nicht alleine, sondern mit Begleitung und zu zweit.
Klar ist das Gefühl immer noch nicht gut, aber es zeigt uns, was wir bisher übersehen haben oder nicht wahrhaben wollten.
Haben wir bereits öfter die Erfahrung gemacht, dass wir einen „Neuanfang“ wagen dürfen, dass es gut werden wird, gehen wir mit mehr Zuversicht an eine Veränderung heran: „Irgendwie werde ich es schon schaffen, auch wenn ich noch nicht weiß wie.“
Fliehe ich, vermeide ich die Angst, so übersehe ich wichtige Informationen und verpasse Möglichkeiten, rechtzeitig zu handeln.
Wäre es nicht schön, offener über die Ängste sprechen zu können, die wir zur Zeit haben? Das wäre doch bereits ein erster Schritt, der Angst ins Auge zu sehen… um zu merken, dass es anderen so oder ähnlich wie uns geht. Wir sind nicht alleine. Und es gibt einen Weg aus der Angst.
* Ich schreibe hier nicht über Angstzustände, Phobien und Panikattaken, über Ängste, die so heftig sind, dass sie die Person in ihrem Leben stark einschränken.
Und ich schreibe auch nicht über die lustvolle Angsterfahrung des Thrills, die als Kontrast zwischen der Anspannung in einer aufregenden Gefahrensituation und der Entspannung danach ein Empfinden von Befriedigung in der Angstbewältigung hinterlässt und ein gesteigertes Gefühl von Lebendigkeit hervorrufen kann – auf dem Sofa.
Beitragsfoto: Andreiuc88 © Fotolia
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