Ich mache mir Sorgen um Entwicklungen in unserem Land, um Veränderungen in unserem Umfeld und Grundhaltungen, die ich seit einiger Zeit beobachte. Ich bemerke eine Einstellung, die voller Ansprüche ist, die Verantwortung abgibt und die für alle Situationen Hilfe von außen erwartet – und eine Einstellung, bei der Erfahrenes nicht zum Dank führt, sondern zu einer größeren Anspruchshaltung.

Jammern hilft nur kurz, wir muessen anpackenNatürlich werde ich hier der Komplexität der Situation in keinster Weise gerecht werden, dennoch möchte ich meine Wahrnehmung ohne Relativierung formulieren: eine Kultur des Jammerns und der erlernten Hilflosigkeit wird zunehmend bei uns hoffähig. Not wird normal, Unselbstständigkeit und Verantwortungsflucht werden gefördert! Jammern wird belohnt, je lauter, desto stärker. Wer vorgesorgt hat, sich für Krisenzeiten gerüstet hat, wer verantwortungsvoll wirtschaftet, guckt in die Röhre. Wer sich selbst hilft, wer kreativ und flexibel agiert, der wird alleine gelassen. So scheint es, so tönt es.

Natürlich ist es wichtig, Not Leidenden zu helfen, aber ist das selbstverständlich? Ist es selbstverständlich, dass Menschen, die vor einer Entlassung geschützt werden sollen, Kurzarbeitergeld bekommen – und das bis zu 80% ihres Lohns bzw. Gehaltes? Das ist nicht selbstverständlich, das gibt es weltweit nur ganz selten, haben wir das vergessen? Wo hören wir Jubel und Freude? Ist es selbstverständlich, dass ein Staat mit Milliarden-Paketen den Unternehmen hilft? Das ist es nicht, das ist großartig. Welche Geschäftsleitung fühlt sich der Gesellschaft und seinem Land dadurch nun verpflichtet und verbunden? Was ist passiert, dass Wertschätzung, Anerkennung und Dankbarkeit so still sind, dass wir sie nicht hören? Ist sie da? Was ist passiert, dass es kein Ehrgefühl gibt, dass ein Selbstverständnis zu herrschen scheint, dass niemand mehr ein eigenes Risiko tragen muss, sondern alle Unsicherheiten und Einbußen durch Vater Staat und Mutter Finanzamt getragen werden. Was ist passiert, dass Leistungsbereitschaft, Verantwortungsgefühl, vorausschauendes Verhalten und Eigenständigkeit keinen Vorteil mehr zu bringen scheinen? Ehrlich: das kann nicht gut sein.

Wir erleben tagtäglich, dass denen geholfen wird, die sich nicht helfen können. Das ist löblich, zweifelsohne. Doch entsteht offenbar geradezu ein Wetteifer des Nicht-Könnens, ein Wetteifer der Bedürftigkeit, ein Wetteifer des Jammerns.

In den vergangenen Wochen und Monaten geht es in den Nachrichten und Berichten gefühlt ständig um den Untergang der einen und die Hilfen für die anderen. Natürlich wollen wir nicht, dass ein Mensch, respektive ein Unternehmen, gravierende Not durch die schwierigen Corona-Zeiten hat; wir wollen, dass niemand untergeht, das ist schön – und das ist gut!
Was aber passiert, zieht in meinen Augen (auch) eine schwerwiegende Verschiebung nach sich: wir wollen so weiter machen, wie vor der Zeit der Corona-Beschränkungen, niemand soll ein Nachteil durch die Pandemie erfahren haben – schließlich können wir doch nichts dafür, dass Corona kam! Aber wie soll das gehen? Wie kann so eine gravierende Krise durch einen Staat aufgefangen und ausgeglichen werden? Warum tragen wir nicht alle Nachteile und kämpfen zusammen, kämpfen gegen ein Ereignis, das uns alle betrifft, und jeder und jede trägt zur Lösung bei, jede*r auf ihre/seine Art. Und dann gibt es – zum Glück – noch zusätzlich eine Art „Auffangmechanismus für die Katastrophen“.
Ein Stück Unglück und ein bisschen Mühe darf es uns kosten, wenn eine weltweite Krise kommt; oder sind wir bereits eine verwöhnte Gesellschaft, die nicht anpacken kann und will? Kann man uns gar nichts mehr zumuten?

Dabei gibt es allerorts bereits gute Beispiele, wo mit Kreativität und Innovation der Situation begegnet wurde und wird. Museen und Theater, die ihre Räume um virtuelle erweitert haben, Neues errungen haben, und das Angebot nun auch in Zukunft nutzen werden. Gaststätten, die mit neugierig-machenden Konzepten ihre Gäste locken, Unternehmen, die ihr Produktspektrum erweitern oder schmälern, ihre Arbeitsweise umstellen. So hat der Kopierservice (eigentlich eine Druckerei), an der ich auf dem Weg in die Stadt vorbei radle, nun Trenn- und Schutzscheiben in allen Größen – im Angebot. Und die verkaufen sich gut, meine habe ich auch hier erworben. An einigen Ecken wächst Neues. Gehen wir nach den Momenten des Schreckens und der Schockstarre mit den Gegebenheiten um und machen wir was draus.

Jammern bremst uns, läßt uns die Not und das Unglück festhalten, gibt uns nicht frei für die Notwendigkeit, mit der Situation umzugehen. Auch wenn es schwierig ist, wir sind gefordert, mit dem Neuen umzugehen, auch wenn der Verlust des Bisherigen schmerzhaft ist und uns traurig macht.

Ich wünsche mir, dass die Fokussierung auf die Tragik der Situation nachlässt. Denn sonst mache ich mir wirklich Sorgen um die Lösungsorientierung und den Leistungswillen in unserem Land, um die Kreativität und um die Verantwortungsbereitschaft um mich herum. Denn eine Krise ist nicht nur eine Krise, sondern eine Chance. Und das ist nicht nur ein schöner blöder Spruch, sondern sie ist es wirklich: eine Chance für Kreativität, Wachstum, Veränderung und Neubeginn.
Leben ist immer auch Risiko, niemand und nichts kann uns vor diesem Risiko schützen. Die Sehnsucht, dass Gefahren von mir fern gehalten werden und ich keinerlei Verantwortung für eventuelles Unglück und seine Folgen übernehmen muss, ist die Sehnsucht des Kindes.

Lasst uns erwachsen sein, lasst uns die Ärmel hochkrempeln und zupacken, es gibt wirklich viel zu tun! Lasst uns nüchtern bleiben und sachlich – und das tun, was notwendig ist, um bestmögliche Lösungen zu finden.

P.S. Wer übrigens laut jammern können sollte sind meines Erachtens die Kinder, die in der Zeit der Schließungen die geistige Anregung durch das Spiel mit anderen Kindern nicht haben und deren Bewegungsdrang so stark eingeschränkt ist. Und junge Erwachsene, Studierende, deren Stimmen wir im Trubel gar nicht hören, deren Aushilfsjobs verloren gegangen sind, die keine Sozialbezüge erhalten und die in einer Phase des Lebens stehen, in der Wachstum im Austausch mit anderen geschieht.

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