Als ich den Beitrag von Sophie Passmann im aktuellen Zeit Magazin gelesen habe, war ich begeistert! Sie bringt es auf den Punkt, was ich immer wieder gedacht und gesagt, aber nicht so gut ausgedrückt habe. Und es macht darüber hinaus auch Spaß, ihren Worten und Gedanken zu folgen: eine folgerichtige Ode an, ein herzliches Plädoyer für den Selbstzweifel.
„Ich wäre nicht überrascht, wenn Sie diesen Text hier dämlich fänden. Während er entstanden ist, war ich mir nämlich unsicher, ob ich schreiben kann. Ich bin mir übrigens auch unsicher, ob ich gut reden kann. Und laufen. Ob ich cool rauchen kann. Und küssen. Um ehrlich zu sein, bin ich mir meistens gar nicht so sicher, ob ich überhaupt irgendwas richtig kann. Mein ganzes Leben ist ein einziger Selbstzweifel.
Ich brauche kein Mitleid, ich halte Selbstzweifel für eines der besten Gefühle überhaupt. Ich glaube sogar, die Welt braucht ganz dringend mehr Menschen mit Selbstzweifeln, dann würde sie zu einem besseren, vielleicht sogar zu einem erträglichen Ort.
An sich selbst zu zweifeln ist ein mutiger Akt, denn man stellt die Grundpfeihler der eigenen Existenz infrage, die Details seines Charakters, die sich gar nicht ändern lassen, selbst wenn man sie als unangenehm entlarvt. Selbstzweifel wollen immer Antworten auf die großen Fragen des Lebens: Bin ich genug? Werde ich geliebt? Wohin mit mir? Und wenn ich da bin, werde ich endlich glücklich?
Es gibt Menschen, die glauben, diese Fragen ohne Selbstzweifel beantworten zu können. Sie laufen dann mit einem beneidenswert großen Selbstbewusstsein durch die Welt – und an den eigentlichen Fragen des Lebens vorbei. Keine Selbstzweifel zu haben ist so etwas wie eine existenzphilosophische Verweigerungshaltung.
Feinde des Selbstzweifels empfinden es wohl als brutalen Akt, mal eine Sekunde lang nicht an sich und die eigene Großartigkeit zu glauben, und dann ahnt man, dass ihr Charakter es nicht aushalten würde, infrage gestellt zu werden. Ich musste in meinem Leben schon viele Menschen treffen, und ausnahmslos jedem hätte es gutgetan, ein klein wenig an sich zu zweifeln.
Es hat einen guten Ruf, gegen den eigenen Selbstzweifel anzuarbeiten, denn das klingt nach Selbstoptimierung und Fleiß.
Dabei wird das Leben kein Stückchen angenehmer, wenn man die eigene Verunsicherung ignoriert. Entgegen dem Klischee hindern Selbstzweifel einen nie daran, das Leben in vollen Zügen zu genießen, sie sorgen eher dafür, dass man die völlig überflüssigen Szenen und Protagonisten des Lebens ausspart. Die wirklich wichtigen Menschen sind nämlich auch da, wenn man sie einen Tag später zurückruft, und die Partys, die man aus Unsicherheit nicht besucht, hatten ohnehin den falschen Gastgeber.
Der Selbstzweifel ist eines der wenigen ehrlichen Gefühle, die sich bewähren. Ohne lässt sich das alles ja gar nicht aushalten, der Alltag, die Menschen, die man in Büros und in der Bahn trifft. Dass man sich im schlimmsten Falle sogar in manche von ihnen verliebt, sie heiraten will, überlegt, kleine Menschen großzuziehen … Wer all das ohne Selbstzweifel durchsteht, ist nicht beneidenswert selbstbewusst, sondern erschreckend ignorant.
Wer nicht zweifelt, hat die Welt nicht verstanden.
Und natürlich darf man sich in regelmäßigen Abständen für das eigene Seelenheil von all den Zweifeln kurz verabschieden und einfach entscheiden, dass man genug ist, liebenswürdig und wichtig. Aber es gehört auch dazu, all das ganz schnell wieder zu vergessen, dann zu zaudern, zu hadern, sich selbst infrage zu stellen und in aller Unsicherheit eine charakterliche Bestandsaufnahme durchzuführen. Das, was nach dieser übrig bleibt, macht vielleicht nicht immer Spaß, ist aber wenigstens ehrlich. Am Ende spielt es ja eh keine Rolle, ob man selbst so gut ist, wie man immer geglaubt hat, solange alles am Ende so gut wird, wie es eben möglich ist. Und mit Selbstzweifeln ist das viel wahrscheinlicher.“
Aus: Alles oder nichts (3): Im Zweifel für den Zweifel von Sophie Passmann, Zeit Magazin vom 14.03.2019, Seite 25.
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