„Der Mensch hat zwei Ohren und eine Zunge, damit er doppelt so viel hören kann, wie er spricht.“* Dieses Zitat hörte ich neulich und musste lachen: wie wahr! Und doch müssen wir wohl immer wieder daran erinnert werden. Reden scheint einen wesentlich größeren Stellenwert zu haben, als zuzuhören; wir müssen schließlich Stellung beziehen, Entscheidungen fällen, Probleme lösen, uns positionieren und sichtbar (= hörbar?!) sein. Aber Reden hält uns vom Zuhören ab. Und: ohne genaues hinhören können wir nicht sicher sein, ob wir wirklich verstanden haben, was uns unser Gegenüber gesagt hat, den tatsächlichen Inhalt des Gesagten erfasst haben.

Hören ist vielschichtig und vermag wesentlich mehr, als das bloße Aufnehmen der gesprochenen Worte. Im Hören findet sofort eine Interpretation des Gesagten statt – eine Interpretation im Übrigen, die wesentlich geprägt ist von den eigenen Vorannahmen und der eigenen Einstellung – es setzt auch eigene Gefühle und Impulse frei. Nicht gut hören schneidet uns von einer zentralen Wahrnehmungsquelle ab, nicht gut zuhören, führt zur Eingrenzung des Wahrnehmungs- und Handlungsspektrums. Zuhören lohnt sich.

Und so lautet auch das Fazit einer Studie, die der Forscher Michael W. Kraus von der Yale University in der Zeitschrift „American Psychologist“ veröffentlicht hat, denn er kam zu dem Ergebnis, dass wir besser in der Lage sind, die Gefühle anderer einzuschätzen, wenn wir uns ganz auf unsere Ohren verlassen – sogar die Person gar nicht sehen, aber gut hinhören. Unsere Augen helfen uns nicht so gut weiter. Wir können die Emotionen anderer besser hören als sehen, Gesprächsinhalte und subtile Veränderungen der Stimmlage verraten uns mehr darüber, wie jemand fühlt, als ein Blick ins Gesicht. Wir hören nicht genug hin, unser Hören ist zu oft abgelenkt.

Wie geht gutes Zuhören? Hier vier Tipps**:

  1. Ablenkungen ausschalten
    Unser Gehirn kann Wörter schneller aufnehmen, als wir sie aussprechen. Wenn wir jemandem zuhören, ist es also unterfordert – deshalb schweifen unsere Gedanken beim Zuhören regelmäßig ab. Beseitigen Sie daher sämtliche Störquellen (Tür zu, E-Mail-Postfach aus, Smartphone mit dem Bildschirm nach unten auf dem Tisch) und konzentrieren sie sich ganz auf Ihren Gesprächspartner.
  2. Interesse signalisierenManchen Menschen fällt es schwer, Gefühle zu offenbaren, vor allem negative wie Frust, Wut und Resignation. In diesem Fall sollten vor allem Vorgesetzte ihre Mitarbeiter durch offene Fragen (wie?, was?, wann?) zum Reden ermutigen. Achten Sie auch auf Worthülsen wie „eigentlich“, „theoretisch“ oder „prinzipiell“ – solche Floskeln dienen meist der Vertuschung. Auch hier gilt: durch Fragen vorsichtig nachhaken.
  3. Belehrungen vermeiden
    Wer sein Gegenüber unterbricht, bremst es aus – und bringt sich selbst um die Gelegenheit, dass sich der andere ihm wirklich öffnet. Dasselbe gilt für Menschen, die gleich ungefragt mit Ratschlägen und Belehrungen aufwarten. Vor einer Antwort auf das Gesagte am besten eine kurze Pause machen und im Kopf bis drei zählen. Dann kann der Gefragte seine Aussage notfalls noch ergänzen. Gute Zuhörer fassen das Gesagte noch mal zusammen mit Sätzen wie „Wenn ich Sie richtig verstehe…“. Denn so geben Sie dem anderen die Möglichkeit, das Gesagte zu korrigieren. Und Führungskräfte können so feststellen, ob sie und ihr Mitarbeiter dasselbe denken.
  4. Zurückhaltung üben
    Absolut tabu: Von sich selbst reden („Das kenne ich gut…“), vorschnell Ratschläge erteilen („Ich an Ihrer Stelle würde…“) und das Gesagte relativieren („Das wird schon wieder“) – damit nehmen Sie den Betroffenen nicht ernst.

Zuhören ist eine Kunst - zuhören lohnt sichZuhören ist lauschen, ist achtsam VERSTEHEN WOLLEN. Wenn ich meine, schon vorher zu wissen, was der andere mir sagen möchte, dann muss ich in der Tat nicht hinhören. Wenn ich aber neue Informationen erhalten will, dann sollte ich genau hinhören, die Ohren spitzen und ganz genau zuhören.

Da erinnere ich mich an einen Satz, den ich jedes Mal beim Hören der Weihnachtsgeschichte so schön in seiner Bildlichkeit finde: „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen“*** – ich glaube, ich weiß, was da gemeint ist: sie hat gut zugehört.

* Epiktet, griechischer Philosoph (um 50-138 n. Chr.)
** Aus: Wirtschaftswoche 34/2018 – Teure Ignoranz von Claudia Todtmann
*** Lukas 2,19