Was im Augenblick in unserer Welt geschieht ist furchtbar und furchterregend. Einen Aspekt picke ich hier raus, weil er so omnipräsent ist, gleichzeitig so subtil und mächtig wirkt, im Weltgeschehen wie auch im Privaten: Geschichten, die erzählt und erzählt und erzählt… und schließlich geglaubt werden.

Das erleben wir jetzt wieder aktuell bei der Propaganda der russischen Medien. Einem anderen Lügner haben wir mit Entsetzen in den Jahren zuvor fassungslos zugehört. Und auch in der Pandemie haben die selbsternannten Experten fortwährend erfundene Geschichten erzählt. Dieses Phänomen nennt man Illusory Truth Effect, Wahrheitseffekt: „Der Wahrheitseffekt beruht auf Prozessen des impliziten Gedächtnisses: Der eigentliche Gedächtnisinhalt (hier: die Aussage) kann nicht bewusst erinnert werden, führt jedoch dazu, dass sein Wahrheitsgehalt höher beurteilt wird.“ Aussagen, die wir bereits gehört oder gelesen haben, sprechen wir einen höheren Wahrheitsgehalt zu, als Informationen, die neu für uns sind. Nach dem Motto: Das muss also stimmen, das hab ich doch schon gehört. Die eigene „innere Wiedererkennung“ führt schließlich zum Glauben und zur Gewissheit: Das ist wahr!

Was dagegen hilft? Mitdenken, Hirn nicht einschlafen lassen! Wir sind weniger intelligent und weniger „vernünftig“, als wir gemeinhin denken. Unser Gehirn ist in jedem Augenblick darauf bedacht, Energie zu sparen. Und das tut es, indem es gewohnte, bereits bekannte, Denkmuster übernimmt. Wir müssen also aktiv immer wieder der Versuchung widerstehen, sozusagen „automatisch“ zu denken. Daniel Kahnemann hat zusammen mit seinem Kollegen Amos Tversky den Begriff „schnelles Denken“ für solche und ähnliche vorschnelle mentale Muster geprägt.

Mit Geschichten formen wir unsere Wirklichkeit

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Deshalb misstrauen Sie ruhig, misstrauen Sie auch Ihrer Intuition, ihrem spontanen „Bauchgefühl“. Bleiben Sie wach. Zögern und Zweifeln ist nicht immer verkehrt, sondern klug. Vor- und nachdenken, auch bevor wir sprechen. 😉 Denken ist sinnvoll.
Damit wir nicht leichtgläubig etwas für richtig erachten, was wir glauben sollen – oder wollen.

Denn wir erzählen uns auch selbst permanent Geschichten über uns selbst, über andere, bis wir diese glauben. Lullen uns dann gerne in zementierten Glaubenssätzen ein, die uns unsere Grenzen – positiver ausgedrückt: unsere Identität – definieren. Aber wir können über uns hinauswachsen. Schalten wir unser Gehirn ein, bevor wir intuitiv und voreilig das annehmen, was sich uns als erstes anbietet.
Damit wir keinen Schaden anrichten, weder bei anderen und auch nicht bei uns.

 

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