Immer wieder passiert es uns, dass wir vor einer Entscheidung stehen, die wir nicht eindeutig fällen können, uns vor Situationen befinden und Gefühle erleben, die nicht eindeutig sind, so dass wir hin und her geworfen sind. Ambivalenz und Ambiguität sind Begriffe, die diese Mehrdeutigkeit beschreiben. Die Grundhaltung der Ambiguitätstoleranz ist das „sowohl-als auch“ im Gegensatz zum „entweder-oder“. Ambiguitätstoleranz macht uns fähig, mit dem Ungewissen, Unsicheren zu leben und mit ihm umzugehen. Und das brauchen wir derzeit sehr. Denn es darf vieles gleichzeitig erschreckend, auch unsicher sein – und gleichzeitig darf es uns auch gut gehen.

Ambiguitaetstoleranz hilft das Sowohl-als-auch auszuhalten

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Ambivalenz meint das Nebeneinander von gegensätzlichen Gefühlen, Gedanken und Beurteilungen. Das heißt also, dass es keine Eindeutigkeit gibt. Die Konsequenz ist – wie bei der Ambiguität: innere Spannung, Zerrissenheit, das Hin und Her zwischen sich scheinbar widersprechenden Empfindungen. Die Begriffe werden oftmals als Synonyme benutzt, was alles nicht einfacher macht.

Je komplexer Sachverhalte, Zusammenhänge und Beziehungen sind, umso mehr besteht die „Gefahr“, dass uns Uneindeutigkeiten plagen.
Und wie nachvollziehbar, dass wir am liebsten darauf verzichten möchten; zu verständlich ist die Sehnsucht nach Klarheit, Eindeutigkeit, die uns erlaubt zu sagen, was gut – schlecht, richtig – falsch, schwarz – weiß, ist. Doch entspricht dies nicht der Komplexität unseres Lebens und unseres Erlebens.

Es ist noch nicht so lange her – gerade einmal 100 Jahre – so wurde der Begriff der Ambivalenz als psychische Störung, als pathologische Verknüpfung und als ein Symptom der Schizophrenie gesehen.  Zum Glück hat sich inzwischen viel getan und widerstrebende Empfindungen gehören seither in der Psychologie zu unserem „normalen“ Erleben. Doch gehört es nicht zu unserem angeborenen Vermögen, mit diesen umgehen zu können. Vielmehr ist es oftmals eine aus der eigenen Erfahrung eingeforderte Ratlosigkeit vor der wir stehen, und die uns die Ambivalenz quasi „aufzwingt“.
Ein leicht nachvollziehbares Beispiel hierfür ist, wenn wir unser Kind lieben und doch – sollten wir keine Nacht ruhig schlafen können, statt dessen lautes Schreien ertragen müssen – gleichzeitig in diesen Augenblicken Hassgefühle empfinden. Zu kurz gegriffen wäre es zu denken, dass wir unser Kind entweder nur lieben oder es nur hassen könnten. Beide Gefühle sind da. Ebenso geht es uns, wenn wir etwas wollen und gleichzeitig auch Angst haben und es nicht wollen: eine neue Stelle, Position, eine neue Lebensphase, einen bevorstehenden Umzug, …

Ambiguitaetstoleranz bedeutet mit inneren Spannungen umgehen zu koennen

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Anzuerkennen, dass ich in manchen Situationen nicht eindeutig fühlen und denken kann, ist manchmal gar nicht so einfach. Und doch ein wichtiger Schritt, wenn wir den Dingen – uns – auf den Grund gehen möchten. Und wenn wir mit Situationen umgehen müssen – oder wollen, – die komplex sind, uneindeutig. Wenn wir die verschiedenen Aspekte, Gefühle, Wünsche und Beurteilungen, die eine Situation bedingt, auseinander nehmen und beobachten, kann es sehr gut passieren, dass die Dinge wieder einfacher werden, klarer und wir erkennen: Das ist das, was mir wichtig ist. Das ist das, was jetzt ansteht!
Hängt diese Erkenntnis dann mit einer anstehenden Entscheidung zusammen, so können wir auch diese schließlich aus der eigenen inneren Klarheit fällen. Und erreichen sogar Sicherheit in der Unsicherheit der Gesamtsituation.

Aber es kann auch sein, dass das Nebeneinander unterschiedlicher Gefühle bleibt. Sie dürfen in einem „sowohl-als auch“ bestehen bleiben. Denn es ist, wie es ist: vielfältig, komplex, unsicher. Und auch hier finden wir schließlich zu Sicherheit in der Unsicherheit. Weil es die perfekte, die eindeutige Lösung, nicht geben wird.

Für unsere Entscheidung bedeutet es, nach neuen Möglichkeiten zu suchen, einem dritten Weg. Für schwierige Phasen, dass es uns in gewissen Momenten schwer ums Herz sein kann, wir uns den Kopf zerbrechen, wie es weiter gehen wird, wir Traurigkeit und Sorge empfinden – um uns dann in anderen Augenblicken trotzdem – wie für einen kleinen Seelenurlaub – auch Freude und Wohlbefinden erlauben und gönnen dürfen. Denn das Leben ist vielfältig, wir sind facettenreich, unser Empfinden ist vielgestaltig – und unsere Welt ist es noch mehr!

Wir müssen uns schlichtweg eingestehen: Wir können einfach nicht alles verstehen, wir können einfach nicht alles überblicken, erkennen, lösen und planen – wir können es einfach nicht einfach haben.

Wer hat uns eigentlich glauben machen wollen, das Leben sei einfach?