Kann schon mal passieren, oder? Wir sind emotional aufgeladen, vielleicht verärgert, angespannt, einiges läuft nicht wie gewünscht oder es ist einfach nur alles mal wieder zu viel… wie ein gebrochener Staudamm entlädt sich unsere Spannung auf den, der uns gerade über den Weg läuft. „Du Vollpfosten!“, schreit es aus uns raus. Vorzugsweise von der Anonymität geschützt trifft es irgendwen da draußen, die Stadt ist ja groß genug; na, die Familie kann es auch noch erwischen. In beiden Fällen kann uns, so sieht es aus, wenig passieren: weder Strafe noch soziale Scham, dass wir unsere Fassung verloren haben.

Während ich in meinem letzten Beitrag über die Portion Arroganz geschrieben habe, die im Ausdruck oftmals auch enthalten ist, geht es mir nun den anderen Aspekt: Wie sollen wir mit unserer inneren Anspannung umgehen, wie lassen wir unsere Gefühle raus? Alles runterschlucken kann ja nicht gut sein, alles ausspucken auch nicht. Wie also damit umgehen?

Gekonnt mit Gefühlen umgehenEs gibt kein allgemein gültiges Rezept. Die Gelassenheit kann ebenso richtig wie gerade in dem einen Augenblick unmöglich sein, der Wunsch nach Distanzierung und Ausatmen auch; Sport, Meditieren, sich zurück ziehen und „runter kommen“, sich den anderen als Würstchen vorstellen, nackt, all diese möglichen und unmöglichen Tipps… die Zeit hilft – auch. Sich bewusst werden, was passiert ist, welche Gefühle in mir wüten und welcher Natur meine Verletzung ist: Ärger, Wut, Enttäuschung, Kränkung, Scham, Neid, Angst, Besorgnis, alles durcheinander und miteinander. Warum es in mir halten, wie Gift? – Raus damit! Holz hacken wäre eine nützliche Alternative, ein „Blitz-Ableiter“, etwas, das Kraft verlangt und unsere Energie umleitet.

Beim Schreiben höre ich gerade ein laut weinendes, protestierendes Kind auf der Straße. Welche Kraft so ein Ärger haben kann, welche Wut und Enttäuschung in diesen „Äußerungen“ enthalten ist! Wir Erwachsenen haben diese, genau diese Gefühle auch in uns, wie gehen wir aber mit ihnen um? Sich auf den Boden legen und schreien erscheint uns vollkommen abwegig, aber was macht dieses Gefühlschaos in uns?

Früher war das absolute Credo: Absolute Contenance bewahren! Wer die Fassung verliert hat sein Gesicht verloren. Schuldig ist, wer sich vergessen hat. Gefühllosigkeit, Magenschmerzen und Neurosen waren die Konsequenzen der Zeit. Dann kam die Ära der Encouter-Gruppen: Emotionen zeigen, ausleben, sich ungebremst und ehrlich erfahren und sich dabei dem anderen zumuten. Authentizität war die Prämisse, Authentizität unter allen Umständen.
Dem Ärger sollten Sie im Büro keinen freien Lauf lassenSeid einiger Zeit ist die Gelassenheit und Ent-Spannung in den Fokus gerückt: Yoga, Autogenes Training, Progressive Muskelentspannung, Tai Chi, Qui Gong und andere… die innere Ruhe in sich finden. Abstand zum Geschehen finden, um nicht aus dem Impuls zu handeln, sich nicht im Strudel der Affekte zu verlieren, die Emotionen zu hoch und zu tief ausschlagen lassen, Verletzungen schaffen. Immer wieder die Suche, wie gehe ich mit meinen Gefühlen um.

Ein Stück Abstand zur Situation ist unausweichlich notwendig. Unbedingt! Lassen wir uns in den Strudel der Ereignisse, unserer Gefühle hineinziehen, so ist die Gefahr riesig groß, dass wir Schaden anrichten, auf der anderen oder auf unserer Seite. Da denke ich an den Leiter eines Bereiches, der nachdem er zum zweiten Mal nicht bei der Beförderung berücksichtigt wurde, seine beförderte Kollegin heftig beleidigend vor dem ganzen Team anging. Offen hatte er dabei allen gezeigt, dass er für die Position der Leitung des Unternehmens auf keinen Fall geeignet war, sein Verhalten war in keinster Weise professionell, er hat sich – danach noch mehrfach – disqualifiziert.
Oder vor einiger Zeit, als ich Gedanken verloren, auf dem Radweg vor der Kreuzung stand, als ein anderer Radler, nah an mir vorbeifahrend, mir ins Gesicht rief: „Du bist ja so’n Idiot!“ – Ja, ich hatte übersehen, dass ich von Rechts kam, Vorfahrt hatte und dem Radler auf der Straße irrtümlich Vorfahrt gewährt hatte, ich war stehen geblieben. Diese Aggression, mir direkt ins Gesicht geschrien, traf mich, auch wenn mir klar war, dass nichts passiert ist, ich niemandem Schaden zugefügt habe und offenbar der Herr heute wohl ohne Zweifel schlecht drauf war. Sich abgrenzen können, ist in solchen Augenblicken notwendig.

Wie mit Aggression, mit starken Gefühlen umgehen? Gute Möglichkeiten, neben den oben genannten, sind – und das meine ich ernst – auch der Werkraum oder Bastelkeller, Töpfern gehen, Musik machen, Singen, Schwimmen… sich auf etwas anderes konzentrieren, etwas tun, das meine Konzentration verlangt, mir gut tut; den Gefühlen den Raum geben, sich zu entspannen, die Gedanken mäßigen und ihnen eine Struktur, Ordnung geben. Und später, wenn ich den Weg aus den überbordenden Gefühlen gefunden habe, die Situation neu betrachten, vielleicht im Gespräch mit einer vertrauten, liebevollen Person. Wie geht es nun weiter?

Abstand zur Situation gewinnen hilft mit überbordenden Gefühlen in der Arbeit umzugehenWenn die Situation verflogen ist, könnte ich die Ereignisse nutzen, um mir selber klar zu werden, wie stark an der einen oder anderen Stelle mein Herz schlägt, z.B. was die Beförderung für mich bedeutet hätte, um das obige Beispiel aufzugreifen; der Bereichsleiter hatte sich nämlich vorher schlecht positioniert und die falschen Akzente gesetzt. Bedeutung, Macht und Einfluss in der Firma zu erlangen waren ihm wichtiger, als das Unternehmen nach vorne zu bringen: kooperativ und als seniore Führungspersönlichkeit. Vielleicht ist er in der Tat im falschen Unternehmen und hat andere, eigene Ziele? Oder sind seine Ziele nicht mehr adäquat und er könnte auch sehen, wie viel Erfolg er schon hat, wie gr0ß sein Gestaltungsraum auch jetzt schon ist? Und wo er seine Schwächen, seine Begrenzung hat? Ist das, was ihn antreibt auch das, was er möchte und wozu er fähig ist, wo er seine Stärken und seine Kompetenz hat?
Über den Radler mache ich mir keine Gedanken, mehr über mich: Gedanken verloren sollte man im Straßenverkehr nicht unterwegs sein, nicht einmal auf einem ruhigen Radweg.

Einfach so, das ist immer gut, werde ich noch stärker darauf achten, was ich selber für meine Psychohygiene mache und verstärken werde: was mich stabil macht und mir meinen mentalen Puffer gibt, um mit Tiefschlägen konstruktiv und lösungsorientiert zu reagieren. Mich und andere zu schützen vor der Wucht möglicher Gefühle, meiner eigenen, aber auch der von anderen. Für mich ist Bewegung in der Natur immer wieder eine gute Kur. Und für Sie? Auf jeden Fall ist eine Portion Contenance schon einmal gut.